China Spotlights

Böser, korrupter Westen

von Verena Nowotny

Fast könnte man glauben, Herr Zhao Lin vom Institute of China Supervision hätte in der Bibel nachgeschlagen für einen Kommentar, den er auf der Website von Chinas oberster Anti-Korruptionsbehörde veröffentlichte: "Den Reinen ist alles rein; den Unreinen aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern unrein ist ihr Sinn sowohl als ihr Gewissen." (Titus 1:15)

Zhao Lin analysiert in seinem Kommentar - angeregt durch die enorme Popularität der Netflix-Serie "House of Cards" in China - die Auswüchse von Korruption in den USA. Dass er diese brillante Abrechnung mit dem gängigen politischen System des Westens dazu nutzt, um die Heimat der Korruption in der westlichen Hemisphäre zu lokalisieren und damit die Wurzel allen Korruptionsübels diesem Erdteil anzulasten, ist - freundlich formuliert - ein etwas kühner Spin, wie Bree Feng in seinem Artikel in der New York Times (englisch) durchaus süffisant anmerkt. Zhao Lin könnte zwar berechtigterweise ein weiteres Bibelwort - "der werfe den ersten Stein" - bemühen; doch als ausgewogene Kritik wird sein Beitrag wohl nicht in die Geschichte eingehen.