Blog

Luodian: Wohnst du noch oder lebst du schon?

von Verena Nowotny

Es ist eine lange Fahrt mit der U-Bahnlinie 7, die nach Luodian im Bezirk Baoshan im Norden von Shanghai führt. Zunehmend leert sich der Zug, schlussendlich bleiben einige wenige Fahrgäste über. Die Gesichtsfarbe wird tendenziell dunkler - ein klarer Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Arbeiterkaste.
Angekommen in Meilan Lake erwartet einen ein moderner großer Bau, auf dem Plakate die hiesige Frohbotschaft verkünden: "New town, new life". Fünf Minuten entfernt befindet sich dann schon der besagte Meilan See - ein etwas trübes Gewässer, mit Promenade und einer kleinen Marina, die aber hauptsächlich von Hundebesitzern und ihren Vierbeinern genutzt wird.
Der See und das angrenzende Stadtgebiet wird Luodian New Town genannt, das Ergebnis einer Stadtplanungsinitiative während des 10. Fünfjahresplans (2001-2005). Im Rahmen dieser Initiative "One City, Nine Towns" wurde jedem Vorstadtbezirk von Shanghai eine Stadt sowie ein Thema zugeordnet. Im Fall von Luodian war dies Schweden; die schwedischen Architekten der Firma Sweco wurden beauftragt, das Design für das neue Luodian auf einer Fläche von 6,8 km2 zu entwerfen und damit Wohnraum für 30.000 Menschen zu schaffen.
Ein Bummel durch die durchaus adrett anmutenden Straßen nahe dem Seeufer zeigt, dass das neue Luodian als Stadtgebiet nicht ganz eindeutig zuordenbar ist: es ist irgendetwas zwischen Naherholungsgebiet, europäisch verkitschter Kulisse (bevorzugt als Hintergrund für Hochzeitsfotos) und ganz normalem Wohngebiet, das aber nur etwa zur Hälfte genützt wird. Ob die Firmenschilder der verlassenen Geschäfte traurige Zeugen von nicht erfüllten Erwartungen sind oder einfach nur Platzhalter für künftige Nahversorger ist nicht wirklich klar erkennbar.
Nähert man sich dann dem alten Teil der Stadt wird es auf den Straßen etwas lebendiger. Der etwa 2 km lange Fußmarsch führt teilweise über kleine Brücken, die daran erinnern, dass Luodian eine 700 Jahre lange Tradition als Handelsplatz hat - begünstigt durch seine Lage im Flussdelta. Dieser Vorteil machte Luodian allerdings auch zu einem heftig umkämpften Ort, der Schauplatz von immerhin neun Kriegen war - von der Ming-Dynastie bis zum Widerstand gegen die japanische Invasion 1937.
Der Weg führt vorbei an diversen Werkstätten und Kleinproduzenten von diversen Stahlprodukten bzw. Nutzfahrzeugen - offenkundig Ableger des Stahlgiganten Bao Steel, der in Baoshan seinen Sitz hat. Gegenüber vom Baoshan Tempel werden die weißgetünchten, mit grauen Schindeln gedeckten Häusern entlang des Flusslaufes offenkundig bereits teilweise einer Renovierung unterzogen. Wenn dies im traditionellen Stil gelingt, dann wird diese Ecke des alten Luodian durchaus ein Schmuckstück. Denn auch der Tempel ist beeindruckend: seit 2006 wird er liebevoll im Stil der Tang Dynastie renoviert, wobei die traditionelle Bauweise angewendet wird, die ohne Nägel auskommt, sondern einzig auf Holzverbindungen basiert.
Sowohl das alte als auch das neue Luodian werden noch einige Zeit brauchen, bis sie zu vollem Leben erwachen: noch sind viele Anlagen unbewohnt, noch stehen viele Geschäfte leer. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich hier eine vitale Vorstadt entwickelt, scheint hoch - qualitativ hochwerte Wohnblöcke, ausreichend Grünflächen sowie der See, eine schnelle U-Bahnanbindung an das Zentrum von Shanghai und nicht zuletzt genügend Arbeitsmöglichkeiten dank der Stahlindustrie sollten als Ingredienzien reichen, um den Slogan "New Town, New Life" tatsächlich wahr werden zu lassen.

Zurück